Fünf Jahre Code for Germany, fünf Jahre digitales Ehrenamt
Vor fünf Jahren wurde das Projekt Code for Germany geboren. Die Idee war es, eine Community aufzubauen, in der digitale Werkzeuge und Anwendungen entstehen, um damit praktisch aufzuzeigen, welche Möglichkeiten Offene Daten und neue Technologien für das gesellschaftliche Zusammenleben bieten. Als Vorbild galt dabei das Programm Code for America, das in den USA die Entwicklungen in Sachen Civic Tech maßgeblich vorangetrieben hat. So entstand Code for Germany, ein Netzwerk engagierter Freiwilliger, häufig mit technischem Hintergrund, die ihre Fähigkeiten nutzen, um ihre Städte und das gesellschaftliche Miteinander positiv zu gestalten.
Gestartet ist das Programm mit sieben Labs, unter anderem in München, Berlin, Hamburg und Ulm. Mittlerweile ist das Netzwerk auf ganze 26 Labs gewachsen. Vom Landkreis Schleswig-Flensburg bis nach Stuttgart, vom Niederrhein bis nach Leipzig sind wir in großen Teilen Deutschlands vertreten. Unseren fünften Geburtstag möchten wir zum Anlass nehmen, um euch unsere fünf zentralen Learnings aufzuzeigen und zusammenzufassen, woran wir in den letzten Jahren gearbeitet haben und wie es in Zukunft weitergeht.
Fünf Jahre - Fünf Learnings
1. Offene Daten als Grundstein der digitalen Infrastruktur
Ein zentrales Thema waren von Beginn an offene Daten, das sind Daten, die von allen frei verwendet, genutzt und verbreitet werden können. Im Fokus stehen meist Verwaltungsdaten (nicht personenbezogene Daten), zum Beispiel Geo-, Finanz- oder Transportdaten, auf deren Basis unsere Community technische Anwendungen für die Gesellschaft entwickelt. Geodaten werden unter anderem für die Erstellung von Karten, z.B. der Berliner Bäumekarte genutzt, Transportdaten für Fahrplan-Apps im öffentlichen Nahverkehr verwendet und Haushaltsdaten interaktiv visualisiert.
Die Bereitstellung offener Daten verbessert nicht nur politische Partizipationsmöglichkeiten, sondern ermöglicht auch die Entwicklung von Apps und Dienstleistungen. Mit ihren zahlreichen Anwendungen und Best-Practice-Beispielen haben die Labs großen Anteil an der Verbreitung offener Daten in Deutschland, wie dieser Artikel beispielhaft für die Stadt Moers schildert. Auch die Gestaltung des ersten Open-Data-Gesetz auf Bundesebene unterstützten Community Mitglieder auf Konsultationsveranstaltungen. Doch dort hört es nicht auf, auch die Bundesländer und Kommunen benötigen eine Gesetzesgrundlage für offene Daten. Denn eine stabile und sichere Datengrundlage ist auch die Voraussetzung für die Entwicklung funktionierender künstlicher Intelligenz.
2. Technologie folgt keinem Selbstzweck
Ob Verkehrsleitung, Energieversorgung oder Parkplatzsteuerung, die Debatte um smarte Städte und Regionen ist auch 2019 noch allgegenwärtig und häufig von Großkonzernen geprägt. Neue Technologien werden als Allheilmittel angepriesen (Blockchain), aber tieferliegende Problemursachen (z.B. Autoverkehr) ignoriert. Dabei sollte vom Problem aus gedacht werden, um gemeinsam mit der Zivilgesellschaft mögliche Lösungswege zu identifizieren. Zielfragen sollten sein: Wie kann Mobilität bedarfsgerecht gestaltet werden, ohne der Umwelt zu schaden? Gibt es Technologien, die Lösungsmöglichkeiten unterstützen?
„Wenn wir Städte schaffen möchten, die ihren Bewohner*innen und dem Gemeinwohl dienen, muss die Zivilgesellschaft einbezogen werden. Die Civic-Tech-Bewegung hat Prototypen geschaffen, die den praktischen Nutzen für die Gesellschaft in den Vordergrund stellt und nicht nur an Geschäftsmodelle denkt. Davon brauchen wir mehr!“
Stefan Kaufmann – Code for Ulm
3. Langer Atem zahlt sich aus, auch bei Verwaltungen
Mittlerweile haben sich die Labs als Treffpunkt für den Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik etabliert. Zu Beginn war dies nicht selbstverständlich. Es brauchte Zeit und Überredungskünste um Mitarbeiter*innen der städtischen Verwaltungen sowie die Open-Data-Community den offenen Austausch in den Labs näher zu bringen. Mittlerweile sind hier öffentliche Räume entstanden, in denen gemeinsam über Herausforderungen gesprochen und Lösungen gesucht werden. In zahlreichen Labs wie Bonn, Köln, Düsseldorf oder Moers nehmen Verwaltungsmitarbeitende regelmäßig an Lab Treffen teil.
„In einem offenen und kreativen Umfeld können auf lokaler Ebene Ideen entstehen, getestet und geteilt werden. Die Labs entwickeln konkrete Tools und setzen Impulse in die Praxis um. Sie zeigen auf, was möglich ist, wenn die Bedürfnisse der Bürger*innen im Fokus stehen!“
Fiona Krakenbürger – Community Managerin a.D.
In Ulm, Hamburg, Münster und Karlsruhe kam es sogar zu langfristigen Veränderung durch die Zusammenarbeit. Hier arbeiten Lab Mitglieder mittlerweile in der öffentlichen Verwaltung und bilden die Brücke zwischen Zivilgesellschaft und öffentlichem Sektor. Sie können ihre Expertise direkt einbringen und steigern die technischen Kapazitäten der Verwaltungen von innen. Um dies deutschlandweit zu verstetigen, streben wir den Aufbau eines Fellowship Programms für die öffentliche Verwaltung, nach dem Vorbild von Code for America an.
4. Für Kooperation braucht es freie und offene Software
Alle von Code for Germany entwickelten Apps und Webseiten basieren auf Open Source Software. Das hat den Vorteil, dass der Quellcode offen ist und die Software von jedem Menschen genutzt und weiterentwickelt werden kann. Praktisch bedeutet es, dass der Code auf einer Plattform wie Github liegt (so wie diese Webseite) und jede Nutzer*in an der Softwareentwicklung beitragen kann. So können Entwickler*innen auf der ganzen Welt gleichzeitig den Code weiterentwickeln.
Auf die Verwaltung angewendet bedeutet es, dass unsere Anwendungen wie beispielsweise die Trinkwasser App nicht für jede Kommune einzeln entwickelt werden müssen, sondern individuell - über Bundesländergrenzen - hinweg gestaltbar sind. Das spart Geld und schafft eine sichere öffentliche Infrastruktur, da jede*r Nutzer*in die Funktionsweise des Codes überprüfen kann. Außerdem können Verwaltungen Open Source Anwendungen unmittelbar auf ihren kommunalen Webseiten einbetten (Haushalt Berlin).
„In öffentlichen Ausschreibungen sollte Open Source Software stets als erste Option in Betracht kommen, so wie es die Kampagne Public Money Public Code fordert, um das digitale Gemeinwesen der Verwaltungen zu stärken.“
Timo Lundelius – Code for Hamburg
5. Digitales Ehrenamt bedarf kontinuierlicher Förderung
Die Code for Germany Community hat in den letzten fünf Jahren mit ehrenamtlichem Engagement viel geleistet und gemeinsam mit Projekten wie Jugend Hackt den Begriff des „digitalen Ehrenamts” in Deutschland maßgeblich geprägt. Damit dieser Wandel langfristig ist, bedarf es Unterstützung.
Nachhaltiger Erfolg wird vor allem dann erzielt, wenn die Städte mit den Labs kooperieren und gemeinsame Projekte auch finanziell unterstützen. Dafür bedarf es keiner Millionenbeträge, sondern Mittel, welche die Infrastruktur der Labs ermöglichen. Der Prototypefund zeigt bereits auf, wie Open Source Software bundesweit gefördert werden kann. In NRW fordern die Labs gemeinsam mit dem lokalen Offene Kommunen NRW Institut bereits seit 2018 einen Civic Tech Fonds von der Landesregierung.
Besonders erfolgreich funktioniert die Zusammenarbeit, wenn Städte selbst Experimentierräume schaffen. In Ulm ist dies mit dem Verschwörhaus gelungen, in Moers gibt es den h4ck3rspace. Hier finden Veranstaltungen statt, und es werden gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Verwaltung Lösungen gesucht und umgesetzt. Wenn die Bundesregierung sich nachhaltig für Open Government in Deutschland einsetzen möchte, dann sollte sie bereits bestehende Strukturen wie die Labs fördern.
Die letzten fünf Jahre im Zeitraffer
Citizen Science – Feinstaub, Wasserqualität und Lichtverschmutzung
Im Zuge des Wissenschaftsjahr “Zukunftsstadt” hat Code for Germany 2015 einen speziellen Fokus auf Citizen-Science-Projekte gelegt, bspw. Feinstaubmessungen via selbstentwickelter Hardware, Apps die Fahrradrouten tracken, Erhebung und Visualisierung von Wasserqualitätsdaten oder Lichtverschmutzung. Als Teil des Projektes „Hack your City“ haben die OK Labs in Berlin, Wuppertal, Karlsruhe und Leipzig mit lokalen Wissenschaftseinrichtungen und Hobbyforscher*innen kooperiert, um gemeinsam neue Ansätze und Hacks für die Probleme unserer Städte zu erproben.
Dabei entstand auch der mittlerweile weit verbreitete do-it-yourself Feinstaubsensor. Um sich einerseits auf eigene Messdaten zur Feinstaubbelastung berufen zu können und andererseits mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu erzeugen, hat das Stuttgarter Lab einen Sensor entwickelt, der sich aus wenigen einfachen Bauteilen zusammensetzen lässt, vor dem Fenster aufgehängt wird und über das WLAN die örtliche Feinstaubbelastung an Luftdaten.info weitergibt. Die Messergebnisse werden auf Luftdaten.info gesammelt und visualisieren die Belastung schließlich auf einer Karte, die inzwischen nicht nur Deutschland, sondern auch einige Teile Europas erfasst.
„Die Feinstaubbelastung in der Autostadt Stuttgart ist weiterhin ein Riesenproblem. Unser Projekt luftdaten.info liefert erstmalig die Datengrundlage, um auf das Ausmaß aufmerksam zu machen, dabei ist die Einbindung der ehrenamtlichen Community zentraler Baustein des Projektes.“
Jan Lutz – Code for Stuttgart
Digitale Hilfsmittel für Geflüchtete
2016 haben wir das Thema Flucht und Asyl als Schwerpunkt gewählt. Mit den Digital Refugee Labs haben wir interdisziplinäre Teams zusammengebracht, die digitale Hilfsmittel und kreative Ansätze nutzen, um Hilfsorganisationen, Institutionen und Initiativen bei ihrer täglichen Arbeit für Newcomer in den Städten zu unterstützen.
In den Labs wurden user-zentriert Bedarfe ermittelt und Tools angewandt, welche die Arbeit der Initiativen erleichtern und vorhandene Tech-Projekte weiterentwickeln sollten. Ziel war es, die Zusammenarbeit zwischen technisch versierten Communitys, Ehrenamtlichen im Bereich der Flüchtlingshilfe, Geflüchteten sowie öffentlichen Verwaltungen zu verstetigen und auszubauen. Im Fokus der Arbeit der Labs stand die Weiterentwicklung und die Bündelung von bereits existierenden Tech-Projekten, daraus entstandene Konzepte und Lösungen findet ihr hier.
„Die Digital Refugee Labs haben verschiedene Communities zusammengebracht und die Bedeutung technischer Fähigkeiten auch für das traditionelle Engagement gezeigt. Leider erhält digitales Engagement nicht die strukturelle Förderung, die es für eine kontinuierliche Arbeit benötigt. Da muss sich dringend etwas tun!“
Ulrike Thalheim – Code for Berlin
Wahlsalons: Werkzeuge rund um Wahlen
Da 2017 die 19. Bundestagswahl stattfand, haben wir uns das Thema Wahlen und Wahldaten für Wahldaten diskutiert und weiter daran gearbeitet.
Interne Organisation und Fokus auf offene Städte
Im letzten Jahr (2018) haben wir zahlreiche Events organisiert und besucht und uns zusätzlich mit den Governance Strukturen unserer Community beschäftigt. Dabei wurden sowohl ein neues Mission Statement, welcher zusammen mit der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. die strategische Planung des Projekts vorantreiben wird, haben wir im Januar 2019 gewählt. In diesem Jahr fand neben Open Data Day und Wikidata Hackathon bereits die Neuauflage des Wahlsalons statt, welcher sich der anstehenden Europawahl gewidmet hat.
Thematisch bewegt uns aktuell vor allem der Smart City Diskurs und damit die Chancen der offenen und freien Digitalisierung der breiten Gesellschaft zugute kommen, widmen wir uns in Zukunft noch ausführlicher dem Thema. Wir stellen unsere Labs gerne als Diskussionsort für die öffentliche digitale Infrastruktur zur Verfügung, um nach Prinzipien des Open Government offen und ko-kreativ mit Politik und Verwaltung Ideen zu entwickeln und Lösungen zu erarbeiten. Wenn ihr euch beteiligen möchtet, dann kommt zum nächsten Lab Treffen in eurer Nähe!
Wir freuen uns auf die nächsten fünf Jahre! Danke an alle Wegbereiter*innen und die großartige Community!