Ein paar Gedanken zu Civic Tech und Corona

18.03.2020 von Ulrike Thalheim

Ein paar Gedanken zu Civic Tech und Corona

Im Sommer 2015 kamen sehr viele Menschen nach Europa, um hier Schutz zu finden. Menschen flüchteten schon in den Jahren zuvor, doch der Sommer 2015 änderte vieles. Im Zuge dessen versuchte eine sehr viel größere Menge an Menschen zu unterstützen. Als Mitglied im OK Lab Berlin sah ich damals die Notwendigkeit, eine Übersicht über digitale Unterstützungsprojekte anzufertigen. Die Projekte waren sehr vielfältig: Es gab Karten und Apps für Geflüchtete, Plattformen zur Organisation von Helfer*innen usw. Sehr viele Menschen saßen an ähnlichen Projekten, in unterschiedlichen Ländern, aber mitunter auch nur 1-2 km voneinander entfernt. Meine Idee war es, diese Menschen zueinander zu bringen, damit sie kooperieren und noch bessere Projekte stemmen können. Es ist jetzt fast unnötig zu erwähnen, dass neben mir auch noch etliche andere die Idee hatten, solche Übersichten zu erstellen. Ich habe mich daraufhin mehrere Jahre ehrenamtlich in der digitalen Flüchtlingshilfe engagiert.

In den letzten Tagen fühle ich mehr sehr an den Sommer 2015 erinnert. Viele wollen unterstützen und überlegen, wie sie ihr informationstechnisches Wissen einbringen können. Ich bin davon überzeugt: Nicht alles lässt sich durch Tech lösen. Viele Situationen können dennoch deutlich durch digitale Unterstützung verbessert werden, in dem sie Prozesse effizienter oder effektiver gestalten. Ich möchte deshalb einige Gedanken und Fragen in den Raum stellen für all diejenigen, die derzeit ein Projekt zum Umgang mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen gesellschaftlichen Folgen initiieren möchten.

Veröffentlicht nur Daten, für deren Qualität ihr die Verantwortung tragen möchtet.

Könnt ihr garantieren, dass von euch bereitgestellte Informationen korrekt und aktuell sind, d.h. eine hohe Datenqualität aufweisen? Falls ihr Informationen bereitstellen wollt, dann tragt ihr für diese auch die Verantwortung.
Aktuell erfahren wir eine höchst nervöse Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, dass bereitgestellte Informationen korrekt sind oder Informationslücken transparent kommuniziert werden. Ich persönlich sehe hier die Behörden und ggf. die ausgebildete Presse in der Pflicht, diese Informationen bereitzustellen.

Zuerst nach dem Problem fragen.

Was ist das Problem, was wir lösen wollen? Fragt andere Menschen und Organisationen: Welches Problem habt ihr und möchtet ihr lösen?

Umschauen!

Gibt es da draußen schon etwas, was an eure Projektidee ziemlich nah rankommt? Ist das Open Source? Können wir das ausbauen, anpassen oder verbessern? Stellen sich anderen Menschen und Organisationen ähnliche Fragen?

Kooperieren!

Wir müssen mit anderen Projekten und Organisationen kooperieren, die sich sehr viel länger mit den gesellschaftlichen Dimensionen umgehen als ihr. Wir sollten Bescheid geben, welche Expertise wir haben und dass wir bereit sind zu unterstützen.

Wir müssen vorausschauend denken.

Welche Themen könnten in 1-2 Monaten relevant sein? Mit wem sollte man jetzt schon reden?

Wir dürfen marginalisierten Gruppen nicht vergessen.

Viele Menschen spüren schon jetzt die Folgen der Virusausbreitung und den Gegenmaßnahmen. Für unseren langfristigen gesellschaftlichen Zusammenhalt ist es sehr wichtig, dass diese Menschen Unterstützung erfahren.

Wir müssen auf uns aufpassen. Wir dürfen uns nicht langfristig verausgaben.

Projekte in einer Zeit wie dieser ehrenamtlich zu entwickeln kann sich aufregend und überwältigend anfüllen. Ihr wollt viel Energie reinstecken. Und dann kommt ihr ggf. irgendwann an den Punkt, wie ihr nicht mehr könnt. Das solltet ihr vermeiden. Achtet auf euch und bleibt gesund!

Das kann bedeuten, auch mal was sein zu lassen oder etwas abzuwarten.

Was sich erst gut anhört, kann aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und mit aktualisiertem Wissensstand schnell überholt vorkommen. Natürlich werden Fehler passieren, wie es in einer guten Fehlerkultur auch sein sollte. Dennoch: Die aktuelle Situation ist hochdynamisch – nicht nur was die registrierten Fälle, sondern auch was unser Wissen angeht. Deshalb gilt umso mehr: Wir müssen gut zuhören und einordnen. Und wir müssen uns unserer Verantwortung beim digitalen zivilgesellschaftlichen Engagement bewusst sein. Das bedeutet: Wir müssen stetig überprüfen, ob die ob die eigene Idee gerade wirklich helfen wird. Falls wir uns durch den Tweet von Emily Rose (@AkashaThorne) ertappt fühlen, dann sollten wir lieber zurück zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen gehen oder anderen Projekten widmen.

Ich freue mich auf eine rege Diskussion und Rückmeldungen. Auf Twitter erreicht ihr mich als @didumdida. Am #WirvsVirus Hackathon der Bundesregierung vom 20.-22. März werde ich ebenfalls teilnehmen.

P.S.: Danke an diejenigen, mit denen ich mich gestern und heute kurzfristig dazu austauschen konnte.