Open Source in der Berliner Verwaltung: Eine ernüchternde Zwischenbilanz

21.12.2022 von Knut Hühne

Im Oktober 2021 gab es Grund zur Freude in der Civic Tech Community: Der Berliner Senat hatte im Koalitionsvertrag mit deutlichen Worten klargemacht, dass er Open Source fördern möchte:

Für eine digital souveräne Stadt sind Open Source und offene Standards unverzichtbar. Der Senat wird bei jeder Softwarebeschaffung nach Open Source Alternativen suchen und speziell für die Verwaltung erarbeitete Software unter freien Lizenzen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.[…] Der Senat richtet einen Open Source Fonds zur Finanzierung von Entwicklungs-Communities ein, die das Land Berlin braucht, um Anwendungen zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Wir als Netzwerk codefor.de fordern schon seit langem: Public Money, Public Code und haben diesen Anstoß genutzt, um eine schon länger laufende Aktion zu intensivieren: Im Jahr 2020 hatte der Abgeordnete Stefan Ziller eine Schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus gestellt, laut der es 67 IT-Fachverfahren gibt, bei denen der Quellcode zur Verfügung steht. Das klingt angesichts der Gesamtzahl von 316 schon nicht besonders viel, aber man soll ja klein anfangen. Und so fragten wir uns: Womit fängt denn die Berliner Verwaltung bei der Nutzung und Veröffentlichung von Open Source an? Und wo finden wir den Quellcode eigentlich? Nirgends war vermerkt, wo der Quellcode zu finden sei - mit Ausnahme der Software “Steuerungsdienst-Datenbank”. Diese ist laut Anfrage “Auf DVD im Tresor hinterlegt”.

In der Schriftlichen Anfrage wird die Idee erwähnt, ein “Open Source Code Repository nach dem Vorbild von GitHub für die öffentliche Hand” zu schaffen. Unserer Meinung nach sollte jedoch nicht darauf gewartet werden, ein so großes Projekt umzusetzen, bevor die bereits vorhandene Software veröffentlicht wird. Also haben wir stichprobenartig versucht, mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes und FragDenStaat.de den Quelltext von zehn Verfahren zu befreien. Den Quellcode hätten wir dann als Service für die Verwaltung übergangsweise auf GitHub bereitgestellt. Der grammatikalische Spoiler verrät an dieser Stelle: So weit ist es (bisher) nicht gekommen. Aber zunächst zum Plan: Der Quellcode sollte zusätzlich mit einer publiccode.yaml Datei versehen werden, die das Auffinden öffentlicher Software vereinfacht.

Dann scheiterten allerdings alle zehn Anfragen. Keine einzige Behörde wollte den Quellcode, der doch laut Aussage des Senats unter einer offenen Lizenz stand, herausgeben. Die Ablehnungsgründe waren dabei so vielfältig wie absurd:

So antwortet das Bezirksamt Lichtenberg:

Sie baten um Übersendung des Quellcodes der IT-Anwendung »MultibaseCS3« (Wildtierdatenbank). Bei diesem Programm handelt es sich nicht um ein quelloffenes Programm. Die Software ist urheberrechtlich geschützt und der Quellcode ist hierzu nicht öffentlich. Der Hersteller ist die 34u GmbH.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg schreibt:

Die Anwendung „Wahlhelfer-DB” war in unserem Wahlamt bis zum Oktober 2014 im Einsatz. Am 29.10.2014 wurde die zentrale Anwendung „Votemanager” (Wahlhelfende und Wahllokale) mit allen Funktionalitäten in der Produktivumgebung eingeführt. Damit erübrigte sich die Anwendung der IT-Anwendung „Wahlhelfer-DB”. Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurde die Anwendung vom Server gelöscht und damit stehen keine Informationen mehr zur Verfügung. Ich bedauere, Ihnen keine andere Auskunft geben zu können.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie beruft sich darauf, dass es sich bei Quellcode nicht um anfragbare Informationen handele:

Ein solcher Quellcode ist keine Akte im Sinne von § 3 Abs. 2 IFG. Akten sind danach alle schriftlich, elektronisch, optisch, akustisch oder auf andere Weise festgehaltenen Gedankenverkörperungen und sonstige Aufzeichnungen, insbesondere Schriftstücke, Magnetbänder, Disketten, Filme, Fotos, Tonbänder, Pläne, Diagramme, Bilder und Karten, soweit sie amtlichen Zwecken dienen. Ein Quellcode zählt nach diesen Maßstäben nicht zu den von der Vorschrift erfassten Akten öffentlicher Stelle, denn er weist keinen Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit auf. Er ist vielmehr (nur) ein allgemeines Mittel um die informationstechnologische Arbeitsfähigkeit der Verwaltung herzustellen. Eine Übersendung des Quellcodes kann daher nicht erfolgen. Ich lehne Ihren Antrag ab.

Aber auch die anderen Antworten sind lesenswert, wir haben hier alle Anfragen und die dazugehörigen Ablehnungsgründe zusammengefasst.

Wo stehen wir also? Von außen könnte man fast meinen, dass die Diskussion darüber, wie der Staat Open Source Software veröffentlichen soll, die falsche ist, wenn er sich schon jetzt so schwer damit tut, überhaupt mit offenem Quellcode umzugehen. Ob Behörden nun Quellcode löschen, gar nicht erst die Nutzungsrechte an ihm erlangen oder ihn nicht als Akte qualifizieren - all dies zeigt, dass nach wie vor eine große Lücke zwischen Anspruch und Realität bei der Nutzung von Open Source Software in der Verwaltung besteht. Die Zwischenbilanz ist, zumindest für Berlin, somit eine traurige. Es bleibt uns nur, unsere Forderung zu wiederholen: Public Money, Public Code. Wenn der Staat Geld für Software ausgibt, dann sollte diese auch der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden. Und zwar nicht in Form eines Eintrags in einer Tabelle, sondern als Quellcode, der für alle im Internet zugänglich ist. Es bleibt abzuwarten, wie gut die aktuelle Koalition ihre Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag in der ihr noch zur Verfügung stehenden Zeit umsetzen kann. Der Entwurf eines Transparenz-Gesetzes macht Hoffnung, dass der “Quelltext von Computerprogrammen” demnächst zu einer “Veröffentlichungspflichtigen Information” werden kann. Dann dürfte es keine kreativen Ausreden mehr geben.