Ersatzhandlungen – Out in the Open August 2023

04.09.2023 von Jörg Reichert (Code for Leipzig) et al.

Open Data

Das Interview mit Stefan Oderbolz in der jüngsten Episode “Statistisch gesehen” ist beste Werbung für die praktische Open-Data-Umsetzung. Stefan hat vier Jahre im Open-Data-Team der Stadt Zürich gewirkt und erzählt im Gespräch nicht nur von seinem beruflichen Umgang mit offenen Behördendaten, sondern auch von seinem ehrenamtlichem Engagement in der Open-Data-Community.

Wer Lust hat, wie Stefan sein Hobby zum Beruf zu machen: die FITKO, bzw. GovData hat derzeit unbefristete Stellen als Data Scientist, IT-Architekt:in und Informatiker:in im GovData-Produktmanagement und im föderalen Datenqualitätsmanagement ausgeschrieben.

Zu tun gäbe es genug, denn laut der neu beschlossenen Datenstrategie der Bundesregierung soll ein Rechtsanspruch auf Open Data eingeführt werden (vgl. Seite 12), allerdings soll das Gesetz erst im 4. Quartal 2024 auf den Weg gebracht werden (vgl. Roadmap auf Seite 37), ähnlich spät wie das Bundestransparenzgesetz (was unter anderem daran liegt, dass der Anspruch mit eben diesem Transparenzgesetz eingeführt werden soll).

Digitalpolitik

Während die Bundesregierung diese Datenstrategie als digitalen Aufbruch rühmt, üben Vertreter der Zivilgesellschaft deutliche Kritik an der bisherigen Digitalpolitik der Ampel-Regierung. Im Koalitionstracker von FragDenStaat wird der generelle Umsetzungsstau – nicht nur im Digitalbereich – offensichtlich.  

Dennoch träumt man mit der Datenstrategie weiter von KI-Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung und will die Entwicklung eigener KI-Sprachmodelle prüfen.

Diese Visionen sind nicht nur im Hinblick auf die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt kaum umsetzbar.

Zumal einem ganz andere, wichtigere Langzeit-Baustellen einfallen, zum Beispiel die mangelnde Standardisierung. So hat der Bundesverband der mittelständischen IT-Dienstleister und Softwarehersteller für den öffentlichen Sektor, DATABUND, als Ergebnis einer Umfrage unter seinen Mitgliedern eine Liste der zehn notwendigsten – aber leider fehlenden – Standards zur Verwaltungsdigitalisierung veröffentlicht.

4. Nationaler Aktionsplan zu Open Government Partnership

Im Rahmen der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg wurde neben der Datenstrategie auch der 4. Nationaler Aktionsplan (NAP) zur Open Government Partnership (OGP) verabschiedet. Die Verpflichtungen können in einer Vorabveröffentlichung bereits eingesehen werden. So wollen sowohl Berlin als auch Schleswig-Holstein ihre Haushaltsdaten als Linked Open Data (“LOD”) bereit stellen. Schleswig-Holstein will sogar seine gesamten offenen Daten über einen SPARQL-Endpunkt zu Verfügung stellen.

Den aktuellen Status der Vorhaben des vorherigen NAPs kann man übrigens hier nachschauen. Wie man beispielsweise an der Verpflichtung Förderung des Wissensaustauschs im Open Data-Umfeld sieht, ist jede der Verplichtungen in Teilziele (Meilensteile genannt) aufgegliedert. An den Meilensteinen ist jeweils der ursprünglich geplante und der ggf. inzwischen angepasste Umsetzungszeitraum dokumentiert. Wenn ein Meilenstein erreicht wurde, ist dies allerdings nur teilweise mit Quellen belegt.

So erkennt man bei der Verpflichtung Grundstein für die Verbesserung des Zugangs zu Rechtsinformationen den massiven Umsetzungsrückstand.

Dabei gibt es mit openjur.de bereits seit 15 Jahren eine gemeinnützig betriebene Rechtsprechungsdatenbank, die nun aber um ihre Zukunft fürchten muss, da durch eine Klage nicht nur Verfahrungskosten und Schadensersatzleistung drohen, sondern auch bei Weiterbetrieb Aufwände für dann proaktiv zu leistende Prüfungspflichten enstünden, die nicht zu stemmen wären. Bei Seiten wie insolvenzbekanntmachungen.de scheint dagegen der Bedarf an Anonymisierung nicht gegeben zu sein, da kann man die Daten aller Firmen- und Privat-Insolvenzen (mit vollem Name, Geburtstag und Adresse) noch auf Jahre hin einsehen.

Ähnlich wie openjur es ermöglicht, Gerichtsentscheidungen zu durchsuchen, macht openparliament.tv Videos und Protokolle von Parlamentsdebatten durchsuchbar. Gründer und Projektleiter Joscha Jäger erzählt im CorrelTalk über den aktuellen Stand des Projekts und die Pläne für die Zukunft.

Klima

Trotz Regens ist das Thema Trockenheit in bestimmten Regionen Deutschlands weiter aktuell: Das ZDF hat die Daten des UFZ-Dürremonitors und des DWD in eigenen Grafiken ausgewertet.

Neben der Trockenheit setzt die Hitze selbst vielen Städten (bzw. ihren Bewohner:innen) zu. Dabei sind die Probleme hausgemacht, denn viele von den Städten sind “Betonwüsten”, wie correctiv auf Grundlage der Versiegelungsstudie vom Gesamtverband der Versicherer analysiert hat. Die Rohdaten sind über die Plattform 23degrees.io auch direkt beziehbar.

Eine Entsiegelung würde auch gegen das andere Wetterextrem, nämlich Starkregen, helfen. In Wuppertal wurden nun gigabyteweise die Ergebnisse der Starkregensimulationen als Open Data freigegeben. Enthalten sind unter anderem Wassertiefen, Fließgeschwindigkeiten und Fließrichtungen. In Braunschweig lassen sich zudem die Auswirkungen von Hochwasser und Starkregen in einem 3D-Stadtmodell simulieren.

Wie groß die Abweichungen bei Temperaturen und Niederschlägen inzwischen sind, kann man sich auf Historical Meteo Graphs für einen beliebigen Ort auf der Welt anzeigen lassen.

Und mit der OpenSource-Anwendung Electricity Maps kann man die entstandenen Treibhaus-Emissionen (gemessen in CO2-Äquivalenten) bei der Energieerzeugung und -nutzung pro Land in Echtzeit und historisch nachvollziehen.

Mobilität

Ein wichtiger Baustein für das Erreichen der Klimaziele ist die Mobilitätswende. Wie diese vorangetrieben werden kann, ist Thema dieser RESET Podcast-Folge, in der Jana Ziegler, Projektleiterin der intermodalen Mobilitätsplattform stadtnavi Herrenberg, interviewt wurde. Die stadtnavi-App ist eine Adaption der finnischen OpenSource-Software digitransit, die wiederum auf OpenTripPlanner basiert. Tatsächlich war aber das Temporaerhaus die ersten, die digitransit für eine deutsche Kommune, in dem Fall für Ulm, angepasst haben und dienten somit als Vorbild für Herrenberg. Sofern offenen Mobilitäts- und Fahrplandaten im standardisierten Format GTFS vorhanden sind, lässt sich das stadtnavi bzw. digitransit auch für jede andere Kommune aufsetzen. Die Schritt-für-Schritt-Anleitung des Transportkollektiv zeigt wie das zu bewerkstelligen ist.

Wie das Handelsblatt berichtet, plant der Verkehrsminister Wissing ein “Mobilitätsdatengesetz”, das Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter verpflichten soll, “Echtzeitdaten zu fairen Bedingungen bereitzustellen”. Zudem soll es eine neue Behörde für Mobilitätsdaten geben, ausgestattet mit einem “Datenkoordinator” sowie einer Aufsicht, die Unternehmen bei Nichtnachkommen der Veröffentlichungspflichten auch mit Bußgeldern belegen können soll. Im Handelsblatt-Artikel wird dazu passend Marion Jungbluth, Mobilitätsexpertin beim Verbraucherzentrale-Bundesverband, mit den Worten zitiert, dass die “Fortschrittsbewegung in Deutschland in der Gründung immer neuer Behörden oder Institutionen” bestehe.

Wie die Freigabe von Echtzeitdaten jetzt schon aussehen kann, zeigt Freiburg. In deren Geo-Portal FreiGIS werden die Standorte und die aktuelle Belegung von Ladesäulen, sowie Daten zum Echtzeit-Verkehrsfluss angezeigt.

Mit dem Ziel für sichere Radwege und freie Bürgersteige zu sorgen, gibt es zum Melden von Falschparkern seit 2019 die App weg.li. Der Nutzer andieckeparkt hat nun auf Grundlage der über die Jahre gesammelten Statistiken eine Schnellübersicht der erfolgten Anzeigen pro Stadt sowie weitere statistische Auswertungen erstellt.

Corona

Ein Zeit-Artikel weist darauf hin, dass sich am Umstand, dass Deutschland während der Corona-Pandemie über viel zu wenig medizinische Daten (z.B. wie viele freie Krankenhaus-Betten, wie viel Pflegepersonal, wie viel Infizierte) verfügt hat, um die Situation realistisch einzuschätzen, kaum etwas geändert hat. Es wird allerdings auch angesprochen, dass die Datenbereitstellung allein nicht reicht, sondern zum einen die Erkenntnisse in geeigneter Form auch an Politik und Öffentlichkeit kommuniziert werden müssen und zum anderen die Politik die richtigen Entscheidungen ableitet und umsetzt, bzw. die Bürger:innen diese Vorgaben und Handlungsempfehlungen auch beherzigen müssen. In die gleiche Richtung zielt diese Kritik am neuen Dashboard für Atemwegserkrankungen in Österreich.

Auch der Wissenschafts-Redakteur Lars Fischer geht in seinem Blog-Beitrag auf mögliche Informationsquellen ein, die als Indikator für die Einschätzung der aktuellen Lage dienen können, unter anderem das SARS-CoV-2 Abwassermonitoring in Bayern.

Sozialstatistik

Die Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel, dennoch waren im 2. Quartal 2022 fast 40% der Einstellungen befristet. Eine interaktive Auswertung gibt es dazu auf dem WSI-Datenmonitor. Die Daten zur Befristung und zur sachgrundlosen Befristung gibt es auch tabellarisch.

Weitere Visualisierungen und Daten zur aktuellen Arbeitsmarktlage gibt es auf Dashboard Deutschland.

Auswertungen speziell zum Thema Armut und Kinderarmut findet man auf den Seiten des Statistischen Bundesamts, auf eurostat, in den Indikatoren des Armuts- und Reichtumsbericht sowie auf der Themenseite der Bundeszentrale für politische Bildung. Vielleicht helfen diese Quellen, die Aussagen mancher Politiker, die im Rahmen der Debatte um die Kindergrundsicherung gefallen sind, kritisch zu hinterfragen.

3D Stadtmodelle

Die Stadt Trier hat ihre 3D-Gebäudedaten als Open Data bereit gestellt, sie können ebenfalls im Geoportal betrachtet werden.

Auch das Hamburger 3D-Stadtmodell, das bisher nur den den Innenstadtbereich umfasste, wurde um die 80.000 Gebäude-Objekte im Südwest-Areal ergänzt. Zudem sind die Bäume des Straßenbaumkatasters nun in 3D abrufbar. Beides ist im Geoportal der Stadt zu bestaunen.

Einfacher fragen

Wer immer schon mit der Syntax der Overpass-Abfragesprache von OpenStreetMap zu kämpfen hatte, für den gibt es nun Erlösung: OSM-GPT ermöglicht es, auch in natürlicher Sprache Informationen aus OpenStreetMap zu extrahieren und zu visualisieren, wie der Blogbeitrag 30 Second Data Viz with OSM GPT demonstriert.

Ähnlich kompliziert wie Overpass QL ist die Abfragesprache SPARQL für Linked Data. Aber auch hier gibt es nun mit LinkedDataGPT eine vergleichbare Lösung, die allerdings auf die Linked Open Data der Stadt Zürich beschränkt ist. Mehr Informationen gibt es im Blogbeitrag von Christian Stocker.

Knowledge Graphs (mit ihrer Fähigkeit, ableitbare Wahrheiten generieren zu können – im Gegensatz zu den stochastischen Large-Language-Modellen), und Wikidata waren auch Thema auf dem Chaos Communication Camp, wie hier berichtet wird. Das dort genannte Wikidata-Spiel sei auch an dieser Stelle nochmals verlinkt.

Open Data vor 10 Jahren

Als in gewisser Weise Vorläufer dieser Blog-Reihe für Code for Germany gab es auch schon vor 10 Jahren einen monatlichen Bericht von den Aktivitäten der Open Knowledge Foundation Deutschland, so wie hier für den August 2013. So fand damals die erste Jugend-Hackt-Veranstaltung statt, über die hier im Rückblick berichtet wird. Einer Veranstaltung, der noch viele folgen sollten, wie man im entsprechenden Wikipedia-Artikel nachlesen kann. Auch jetzt stehen im September in Köln (leider schon ausgebucht) und im Oktober in Hamburg Events an.

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