Jannis versucht, mit offenen Mobilitätsdaten und Open-source-Software öffentliche Verkehrssysteme für alle zugänglicher und attraktiver zu machen.
Wie war dein Weg in das Code for Germany Netzwerk?
Tja, ich weiß gar nicht mehr genau. Das war in Berlin vor ein paar Jahren. Ich glaube ganz klassisch. Entweder irgendjemand anders ist zu dem Meeting gegangen oder ich hab es irgendwo gelesen, vielleicht auf Meet up. Jedenfalls bin ich dann da vorbei und es hat zu den Sachen gepasst, die mich zu der Zeit interessiert haben - sowohl allgemein als auch konkret zu den ganzen Verkehrssachen, in die ich gestolpert bin. Ich hatte damals auch viel Zeit und bin dann fast zu jedem OK Lab Treffen gegangen und - ja, da war ich dann irgendwann Teil davon.
Und du bist dann in erster Linie wegen den Verkehrssachen geblieben?
Ich glaube, die Verkehrssachen waren immer der Anlass. Das war immer das Projekt, an dem ich noch dieses oder jenes fertig machen wollte, oder wo ich immer wenn eine Sache fertig gebaut war, die nächste Sache gesehen habe, die man mal machen könnte. Aber eigentlich geht es mir schon um die allgemeineren Themen und die allgemeineren Ziele, auf die dann diese Verkehrssachen einzahlen. Die Gesellschaft im weiteren Sinne - das klingt ein bisschen pathetisch - besser machen, gerechter machen, diese Sachen irgendwie. Und warum gibt es da Möglichkeiten, die nicht wahrgenommen werden? Die man wahrnehmen könnte. Die Motivation war also schnell auch, dass ich gesehen habe, dass im Digitalbereich generell ganz viel passiert und oft eben irgendein Quatsch oder es passiert zu wenig. Der Verkehrsbereich war nur der Auslöser.
Und wie bist du auf den Verkehrsbereich gekommen?
Total Klischee mäßig! Bei meinem ersten Programmierjob musste ich jeden Morgen zum gleichen Ziel, ins Büro. Und es gab zwei, drei naheliegende Verbindungen dahin, und alles, was ich morgens wissen wollte war einfach nur welche ich nehmen soll. Den Rest, der ist ja klar, man weiß alles auswendig. Welche der Verbindungen ich heute am besten nehmen soll, wollte ich am liebsten permanent auf meinem Handy haben. Ich bin notorisch spät dran, da will ich dann nur schnell auf mein Handy schauen müssen. Aus Neugier darüber bin ich dann in die Bubble gestolpert. Ich habe dann gesehen, dass sich diese Anwendung sogar relativ schnell erledigen ließe, aber es so viel anderes gibt, das nur schwer zu ermöglichen ist, weil es Baustelle nach Baustelle, nach Baustelle gibt. Also es war eine ganz praktische Situation. - Hast du das Tool jetzt auf deinem Handy? Nicht direkt. Ich habe so eine App, die mir für meine voreingestellten Stationen ähnliche Sachen anzeigt und die ist OpenSource und aus der Community. Die würde es auf alle Fälle nicht geben, wenn sich nicht diese ganze Szene entwickelt hätte. Und an meinem Computer habe ich auch mal so was gebaut, was oben in der Menüleiste anzeigt, wann die nächste U Bahn dahinten fährt. Irgendwann ging es mir aber gar nicht mehr darum. Mittlerweile fahr ich die Strecke nicht mehr und es geht mir wie gesagt um grundlegendere Sachen. Also nicht nur welche U Bahn nehme ich, sondern taugen diese Daten und was machen andere Leute damit? Ich bin in die Infrastruktur Nische gerutscht im Laufe der Zeit.
Wie sieht es in der Infrastruktur Nische aus?
Ein Teil ist auch hier ganz praktisch selber Sachen bauen, die bisher wenig gebaut werden, weil sie nicht im Interesse von kommerziellen oder kommunalen Playern sind. Das wäre zum Beispiel Daten über Anbieter hinweg zusammenzuführen. Die Bahn hat kein Interesse Flixbus Daten einzubauen und Flixbus hat kein Interesse DB Daten einzubauen. Verbraucher haben aber ein Interesse am Vergleich. So kann man ganz praktisch zeigen, was mit einem anderen Datenzugang möglich wäre. Auch Barrierefreiheit ist völlig unter berücksichtigt bisher. Es gibt hier wirklich Potenzial in der Praxis, im Leben der Leute, etwas zu verändern.
Eine andere Sache ist es die Daten, die in existierenden Systemen genutzt werden, die zwar vielleicht nicht Anbieter übergreifend sind oder super offen, zu verbessern oder reparieren. Das ist dann noch eine Ebene niedriger, wenn man so will. Es gibt zum Beispiel das Projekt „Rette deinen Nahverkehr“ das haben andere Menschen aus dem Verkehrs Umfeld gemacht, aber Freunde und ich haben die Idee ein bisschen übernommen. Es gibt mittlerweile fast überall offene Daten für die gängigen Mobilitätswege, aber neue Mobilitätsformen fehlen oft.
Also Städte kriegen es oft nicht auf die Reihe, z.B. Daten über E-Roller einzusammeln, dabei sind sie diejenigen die die Lizenzen für deren Aufstellung verteilen. Ein anderer häufiger Fall ist, dass es die Daten zwar gibt, sie aber fehlerhaft sind. Dann kann man Analyseskripte bauen, Validatoren darauf werfen oder manuell rumbohren. Oft merkt man dann, dass nur irgendeine Software verwendet wird um die Daten zu exportieren und die kaputt ist.
Am Ende muss man aber eigentlich immer hinterher nerven, damit sich jemand um das systemische Problem kümmert. Also man hangelt sich im Laufe der Zeit in der Kette zurück, wenn man den Problemen folgt. Idealerweise sind die Daten dann irgendwann repariert und die werden ja überall verwendet. Die sind also nicht nur in den paar Experimenten, die ich gebaut habe und die im Zweifel niemand benutzt, sondern auch in Google Maps repariert.
Habt ihr manchmal direkt mit städtischen Akteuren zu tun?
Manchmal. Das sollten wir mehr tun, glaube ich, weil es echt effektiv ist. Aber ehrlich gesagt, ist es bequem nicht anzurufen. Büroöffnungszeiten einhalten, am Telefon vom Problem überzeugen, einen Temrin ausmachen um Dinge genauer zu erklären, dass ist ganz schön aufwendig. Es ist einfacher ins Internet zu schreiben: Hey, das ist kaputt. Aber es ist halt nicht so effektiv. Wir haben das auch schon gemacht und versuchen gerade wieder entsprechende Leute an einen Tisch zu kriegen, weil von offizieller Seite viel zu wenig passiert. Also es gäbe eigentlich verschiedene Institutionen, die offiziell die Aufgabe haben, sich um so was zu kümmern und sich nicht kümmern. Deswegen versuchen wir das bottom up. Mit wir meine ich übrigens andere Menschen aus diesem Dunstkreis, die entweder unmittelbar mit Code for Germany zu tun haben oder eben über eine Ecke damit verbunden sind.
Wie stehst du zu ehrenamtlicher Arbeit? Du sprichst ja schon an, dass es eigentlich Stellen gibt, die diese Aufgaben übernehmen sollten.
Ja vieles ist ehrenamtlich und unentgeltlich, das heißt, dass ich das machen kann, ohne irgendwelche kommerziellen Interessen berücksichtigen zu müssen. Eigentlich wäre es aber die Aufgabe anderer Stellen, diese Arbeit zu leisten und auch Leute dafür zu bezahlen. Ich finde, dafür sollten Leute bezahlt werden können. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich für manche Projekte arbeite, die die Daten nutzen. Also zum Beispiel gibt es das BB Navi, welches auf dem süddeutschen Stadt-Navi-Projekt aufbaut und für Brandenburg klont. Und die geben mir glücklicherweise Geld dafür, weil ihnen klar ist, dass wenn die Datengrundlage nichts taugt, dann bringen auch die Ergebnisse nichts, die da hinten rausfallen. Das betrifft natürlich nur die Brandenburg spezifischen Probleme oder die Herrenberg bei Stuttgart spezifischen Probleme, aber immerhin. Das Problem ist nur, dass es eine Art Spagat erfordert zwischen bezahlt und unbezahlt, das ist ein wenig ungesund. Da fängt man an sich bezahlt was anzuschauen und findet Fehler, der Austauschprozesse beginnt und dann führt man sie irgendwann ehrenamtlich weiter, weil man will, dass sie in der Fläche gelöst werden oder sich die Bezahlung ändert, aber man trotzdem möchte, dass die Fehler behoben werden.
Wer würdest du sagen profitiert am Ende von deiner Arbeit?
Das ist immer etwas schwer mitzukriegen, aber es gibt ein gutes Beispiel: Vor einiger Zeit hat der RE1, also eine der wichtigsten Regionalverbindungen hier in Berlin und Brandenburg einfach in den offenen Daten des Betreibers gefehlt und niemand hat’s gemerkt. Wir haben es nur zufälligerweise rausgefunden. Er hat im BB Navi gefehlt und wir haben einfach mal Google Maps aufgemacht um gegenzutesten.
Wir haben eine Verbindung eingegeben, wo es sehr sehr sehr naheliegend ist, den RE1 zu benutzen. Und dann schlägt einem Google Maps, wenn es den RE1 in den Daten nicht gibt, halt Quatsch vor - Nimm fünf Busse hintereinander, oder sorry, fahr Auto! Sowas passiert bei allen möglichen Verbünden mal, wir haben also dem VBB geschrieben und die haben es mit dem nächsten Export repariert. Es ist allerdings unklar, was sie genau behoben haben und ob dieses Problem jetzt nachhaltig für immer behoben ist und ob es irgendeine automatisierte Überprüfung gibt, die verhindert, dass das Problem wieder auftritt. Das ist ein bisschen frustrierend, weil da meiner Meinung nach so ein bisschen der systematischer Ansatz fehlt. Es fühlt sich oft an wie ein Kampf gegen Windmühlen.
Der RE1 hat gefehlt in allen Apps inklusive Google Maps, wir haben Bescheid gesagt und ich behaupte jetzt mal, der war dann wegen uns schnell wieder drinnen. Und wenn man sich das in der Fläche vorstellt, dass einfach irgendwo was fehlt, weil die Person, die beim Export den Knopf drückt, das wegen mangelndem Tooling nicht mitbekommt, ist das schon blöd. Im Zweifel fahren tausende Leute woanders lang und kriegen irgendeine Scheißverbindung oder fahren Auto oder treffen ihre Freunde oder Verwandten erst gar nicht und sind frustriert vom öffentlichen Nahverkehr.
Und was wäre dein Traumprojekt?
Ich glaube, da gibt es nicht eins. Es gibt viel zu viele Baustellen. Aber mal abgesehen davon, dass ich persönlich mal wieder mehr mit so P2P Sachen machen möchte ist eine von 1000 Baustellen im Verkehrsbereich ein Nachfolger von Rette deinen Nahverkehr. Bekannte von mir, die auch in der Open Transport Community unterwegs sind arbeiten daran. Im Grunde geht es dabei um grassroots-Aktivismus und Lobbyismus für offene Daten im öffentlichen Nahverkehr. Damit die Daten über alle Formen der Mobilität verarbeitbar und auch für Gruppen relevant werden, die bisher wenig abgedeckt sind von bestehenden Softwarelösungen müsste man das Portal bzw. die Kampagne um- und vor allem in der Fläche ausbauen. Das machen andere Regionen und Länder eigentlich ganz gut vor, da könnte man bestimmt kopieren. Und dann hoffen, dass Leute die Verantwortlichen nerven, wenn die Daten nicht da sind. Das wäre so ein Projekt, was wir uns, bzw. Leute sich vorgenommen haben. Und gleichzeitig weiß ich schon, dass dieses Projekt frustrierend sein wird. Es ist ein Traumprojekt in der Hinsicht, dass es enormes Potenzial hat, aber ich weiß, es ist Infrastruktur und wenn man die Arbeit super gemacht hat, dann gibt es keine Fehler mehr und alles steht zur Verfügung und alles kann man nutzen. Aber man hat auch nur für die Abwesenheit von Fehlern gesorgt und gearbeitet und Energie investiert. Und das ist manchmal ein bisschen unbefriedigend. Ich glaube es tickt nicht alle Boxen für ein Traumprojekt aber es ist eine Sache die lohnt sich richtig.
Was wünschst du dir für die Zukunft der Open Community?
Ich finde man denkt zu sehr im Status Quo. Gefühlt gibt es diese ehrenamtliche Bubble, wo viele ganz praktische Dinge und wenig Quatsch passiert. Es ist nicht so Hype mäßig, aber dafür sind fast alle Projekte ehrenamtlich und damit per Definition nicht nachhaltig. Dann gibt es diesen Hype Bereich. Und dann gibt es irgendwie die – und es ist völlig egal, ob man jetzt die Verwaltung oder in meinem Fall irgendwelche Verkehrsverbünde wählt - Institutionen, die das Budget haben, aber entweder mit ganz anderen Problemen beschäftigt sind oder überhaupt nicht raffen, was gesellschaftlich möglich wäre, wenn man mehr offen machen würde und mehr Daten und Skills hätte. In diesem Dreieck kann man irgendwie immer nur eine Ecke wählen und es gibt kaum Zwischenbereiche. Also warum ist es nicht ein fließender Übergang zwischen Ehrenamt und bezahlten Projekten, die zeigen, was möglich wäre und aber auch langfristig arbeiten? Und warum gibt es nichts zwischen Hype und nicht Hype, also zwischen irgendeinem Quatsch, den alle sehen, der aber recht oberflächlich ist und den Projekten, die wirklich in der Substanz Dinge ändern. Das wäre meine Wunschvorstellung, dass man nicht sich entscheiden muss zwischen Geld und Hype oder Ehrenamt mit Substanz. Um es mal ganz platt zu sagen.
Gibt es noch etwas das du gerne sagen möchtest?
Eine Sache, die mir besonders im Mobilitätsbereich auffällt, die aber, glaube ich, überall gilt, nämlich, dass der offizielle Weg, per Definition immer eine vermeintlich homogene Zielgruppe abdeckt. Es ist immer auf den Mainstream ausgerichtet. Im Mobilitätsbereich kann man gut an Hand von Google Maps sehen, dass die Bedürfnisse von 60-70 % der Gesellschaft abdeckt werden, aber vom Rest halt nicht, weil es sich nicht lohnt. Und Offene Daten und Offene Software ermöglichen genau das zu tun, das sind nicht nur Spielereien. Beide zusammen schaffen ein Ökosystem in dem man schnell und einfach Alternativen bauen kann, die es ermöglichen z.B. die vielfältigen und komplett unterschiedlichen Anwendungsfälle von Barrierefreiheit abzudecken, die sonst einfach nicht abgedeckt werden. Da sollte sich auch politisch was ändern, ganz klar.
Vielen Dank für das Interview, Jannis!
Für mehr Infos zum Thema Offene Daten und Mobilität empfiehlt Jannis die Podcast Folge: Offene Daten oder exklusive Mobilität?